Wenn Probleme in Unternehmen auftauchen, machen sie es sich oft zu leicht. Man beschließt, die Führungskraft habe versagt, und das sei der Ursprung allen Übels. Der beste Weg aus der Krise scheint dann der, einfach die Führungskraft zu ersetzen, denn so muss man gar nicht auf die Strukturen in der Organisation schauen, die beteiligt waren.
In diesem Artikel erkläre ich, wieso solche Entscheidungen dem Unternehmen meist nicht weiterhelfen und was Führungskräfte tun können, um aus einer solchen Spirale auszubrechen. Denn: Auf den ersten Blick scheint eine Organisation, die so handelt, nicht gerade attraktiv als Arbeitgeberin. Aber vielleicht bietet eine solche Situation auch spannende Möglichkeiten, die richtigen Impulse umzusetzen und Entscheidungen zu treffen?
Was passiert, wenn Probleme im Unternehmen personifiziert werden und warum
Know-how, Persönlichkeitsstruktur, Kompetenzen, aber auch Erfahrungswerte spielen eine wesentliche Rolle für den Erfolg einer Führungskraft. Diese Merkmale sind oft entscheidend dafür, ob eine Führungskraft ein Projekt oder eine Geschäftsentwicklung situationsgerecht zum Erfolg bringen kann.
Daher werden diese Merkmale oft als Grund ausgemacht, warum ein Vorhaben funktioniert oder aber nicht funktioniert hat. Wenn eine schnelle Lösung hermuss, ist dieses Vorgehen einfach, plausibel, greifbar und für die Organisation gesichtswahrend.
Der Fokus auf die Person lenkt aber von den Rahmenbedingungen und vom Verantwortungsanteil der Organisation ab.
Ein Beispiel: Ein Regionalbereich eines Unternehmens ist seit Gründung defizitär. Das Unternehmen aus der Personaldienstleistung schafft dort keine dauerhafte Verbesserung. Die Kundenbeschwerden aus dieser Region sind zahlreich. Fluktuation und Krankenstand sind in einigen Niederlassungen sowohl in der Leitung als auch in der Belegschaft außergewöhnlich hoch.
Die regional verantwortliche Führungskraft geht nicht immer sehr taktvoll vor, um ihre Umsatz-Ziele durchzubringen. Sie verprellt viele ihrer unterstellten Führungskräfte und Mitarbeitenden.
Dieses Verhalten und seine Auswirkungen scheinen die Geschäftsführung zunächst nicht zu stören, denn: Die Zahlen stimmen. Keiner interessiert sich dafür, wie die Zahlen und Ergebnisse zustande kommen. Das Ziel, schwarze Zahlen zu schreiben, wurde erreicht, und die Geschäftsführung kann gegenüber dem Aufsichtsrat endlich positive Meldungen verkünden. Sie kann nach vielen Jahren Defiziten und Problemen dokumentieren, dass ihre Strategie aufgeht und sie auf das richtige Pferd gesetzt hat!
„Umsatz um jeden Preis“ verschärft die Probleme und kostet Vertrauen
Es wird nicht gern thematisiert, wenn eine Organisation ihre Maßstäbe betreffend Mitarbeitenden-Orientierung und Qualität über Bord wirft.
Das ist ein Dilemma, ein Widerspruch, den die Organisation auszuhalten aber auch zu gestalten hat. Obwohl nach außen gern mit Wertschätzung geworben wird, hat die Wertschöpfung die größere Priorität.
Der Preis für diese einseitige Orientierung: Vertrauensverlust, bei den Mitarbeitenden und den Kund*innen.
Infobox: Martin Claßen verwendet die Begriffe wertschöpfend (Shareholder)/wertschätzend (Stakeholder) in seinem Buch „Spannungsfelder im Change Management, Veränderungen situativ gestalten“. Handelsblatt Fachmedien, 2019. |
Zurück zum Beispiel: Die Fluktuation erreicht mittlerweile gut 30 %. Zudem gibt es deutliche Qualitätsprobleme. Die Umsatzzahlen werden durch sehr niedrige Preise erzielt. Um die Deckungsbeiträge zu erzielen, müssen nun die Kosten gesenkt werden.
Bei personalintensiven Dienstleistungen gehen die Einsparungen dann meistens zu Lasten der Qualität und der Mitarbeitenden. Das Unternehmen kommt seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr nach. Die eklatanten Vertragsverletzungen führen zu wiederholten Vertragsstrafen.
Und die Führungskraft? Sie ist zwar keine Herzensgewinnerin, hat aber die Anforderungen der Geschäftsführung über die Maßen erfüllt. Dass diese sehr zielstrebige Person notfalls über Leichen ging, war der Geschäftsführung daher zunächst nicht wichtig.
Systemisches Inszenieren: Umgang der Geschäftsführung mit der Situation
Die Geschäftsführung reagiert erst, als Qualitätsbeschwerden der Kunden immer lauter werden und eine Vertragsstrafe nach der nächsten ins Haus flattert. Die Probleme sind so massiv, dass sie die Wirtschaftlichkeit des ganzen Unternehmens ins Wanken bringen.
Die Organisation agiert in dieser Situation nach üblichem Handlungsmuster und Organisationslogik: die Trennung von der „schlechten“ Führungskraft war unvermeidlich und überfällig. Und diese überfällige Entscheidung wird sogar als Zugeständnis geäußert: „Wir haben eins falsch gemacht, wir haben nicht früh genug reagiert.“
Alles, was versäumt wurde, kann einer einzigen Person zugeschrieben werden. Die Führungskraft wird verteufelt.
Die Geschäftsführung kommuniziert: Man wusste von nichts und wundere sich sehr über die schrecklichen Aussagen der Mitarbeitenden und Kunden. Für die Mitarbeitenden ist dies eine nur schwer ertragbare Situation: Sie wissen, dass es anders abgelaufen ist, wissen, dass sie sich beschwert haben und dass die Probleme sehr wohl bekannt waren. Der Umgang der Geschäftsführung mit der Situation macht fassungslos und erschüttert das Vertrauen enorm. Für die kommende Führungskraft ist es daher umso schwieriger, das Vertrauen wieder herzustellen.
Genau betrachtet war dieses Szenario aber schon mal in der Vergangenheit aufgetreten. Unabhängig davon, welche Geschäftsführung die Geschäfte führte. Das ist das organisationale Verhaltensmuster, wie im Unternehmen mit dem Spannungsfeld Wertschöpfung / Wertschätzung umgeht. Man kann hier von einem systemischen Inszenieren sprechen.
Schönwetter-Führung ist nichts für Sie?
Sie denken jetzt vielleicht, dass es sich um ein außergewöhnliches Bespiel handelt.
Was diese Firma angeht, haben Sie möglicherweise recht. Diese Situation ist allerdings sehr schnell erreicht, wenn die Margen zum großen Teil durch Personaleinsatz erzeugt werden müssen.
Die Entscheidung für Wertschätzung kann schnell wieder kippen, wenn die Zahlen nicht mehr stimmen. Das Unternehmen wird dann empfänglich für schelle, sichtbare Ergebnisse. Sie können sicher nachvollziehen, dass das Unternehmen die naheliegendste und öffentlich wirksamste Lösung wählt: Man tauscht das Führungspersonal aus und hofft, dass die nächste Führungskraft es wieder glattziehen wird. Man gibt dem Leistungsdruck nach und lässt sich durch die Erfolgsgier verführen mit der Aussicht, schnell gute Ergebnisse zu erreichen. Das verhindert, dass tieferliegende, große Probleme angegangen werden.
Jetzt könnten Sie sagen: „Na ja, wenn ich diesen Job annehme, wird es mir doch genauso ergehen wie dem*der Vorgänger*in.“ Diese Gefahr besteht natürlich, wenn das Unternehmen sich wieder durch die einfache Lösung verführen lässt. Aber hier wird es spannend, denn Sie können es auch anders machen.
Sie haben die Wahl und müssen das Spiel der Verführung nicht mitspielen.
Durchschauen Sie die Muster, die dem Verhalten der Beteiligten zugrunde liegen.
Wenn Sie in einer solchen Situation die Führung übernehmen, müssen Sie darauf achten, dass Sie nicht ungewollt Teil der Inszenierung werden. Denn die Organisation wird ihre Muster nicht einfach verlassen. Man wird Ihnen Honig um den Bart schmieren und Ihnen versichern: „Ihr*e Vorgänger*in hat es nicht hingekriegt, aber für Sie, mit Ihren Qualitäten, sollte das doch kein Problem sein.“
Lassen Sie sich nicht auch verführen. Sie können andere Entscheidungen treffen, können andere Prioritäten setzen. Sie können umstrukturieren und sich nicht von den großen Zahlen blenden lassen. Sie dürfen am langfristigen Erfolg arbeiten. Damit eröffnen Sie sogar die Chance für das Unternehmen, einen anderen Lösungsweg auszuprobieren und auf lange Sicht das neue Verhalten in sein Repertoire aufzunehmen.
Diese Situation birgt ungeahnte Freiheit, wenn Sie gut verhandeln. Sie müssen nicht versprechen, Wunder zu bewirken, sondern können deutlich sagen, wie Sie vorgehen wollen. Dafür brauchen Sie Klarheit und den Mut, die eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren.
Wenn Sie Herausforderungen mögen, ist das Ihre Chance. Machen Sie sich die Mechanismen klar und betrachten Sie die Situation und Akteure, ohne sie zu verteufeln oder zu verherrlichen. Verhandeln Sie Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, die Sie für den Job benötigen, nüchtern und realistisch. Denn in diesem Moment halten Sie den längeren Hebel in der Hand. Und dieser Moment der Verhandlung ist einzigartig und kommt in dieser Qualität nie wieder!
Stehen Sie vor ähnlichen Herausforderungen oder kämpfen Sie bereits mit krisenhaften Gegebenheiten? Stecken Sie fest oder wünschen Sie sich einen Perspektivwechsel und einen Blick von außen? Erzählen Sie mir davon, wir schauen dann, wie ich Sie unterstützen kann.
Ihre Valérie Turbot