Impuls

Wie Konflikte entstehen – und warum wir selten selbst die Ursache sehen

Die Szene stellt ein Konflikt während eines Meetings dar. Ein Geschäftsmann hält eine Lesebrille in der rechten Hand. Er sieht ärgerlich aus und spricht mit einer Frau. Die Szene findet am Besprechungstisch statt. Weitere Personen sind anwesend aber unscharf zu sehen.

Konflikte und Selbstbild

Ich werde oft gefragt, wie Konflikte eigentlich entstehen. Viele Menschen nehmen sich selbst als friedlich und umgänglich wahr. Umso überraschter sind sie, wenn sie plötzlich mitten in einem Konflikt stecken. Diese Verwunderung ist verständlich – und zugleich ein Schlüssel zum besseren Verständnis.

Unser Selbstbild spielt eine entscheidende Rolle: Weil wir uns als vernünftig, fair und kooperativ sehen, suchen wir die Ursachen für Konflikte oft reflexartig bei anderen. Diese Denkweise hat etwas Beruhigendes. Denn wer selbst „ eigentlich ganz ok“ ist, kommt kaum auf die Idee, das eigene Verhalten infrage zu stellen. Stattdessen sehen wir den Fehler bei der anderen Person: „Ich bin doch ruhig geblieben – warum greifst du mich an?“ oder „Ich arbeite doch konstruktiv – warum störst du ständig den Ablauf?“

Diese Haltung ist verständlich, aber auch trügerisch. Denn sie führt zu einer Schwarz-Weiß-Betrachtung: hier die „Guten“, dort die „Schuldigen“. Das vereinfacht die Situation – und entlastet. Wir neigen dazu, das Problemhafte loswerden zu wollen: „Wenn die andere Person einfach nicht mehr da wäre, wäre alles gut.“ Besonders deutlich wird das, wenn jemand im Urlaub ist und man denkt: „Endlich ist Ruhe im Büro.“

Solche Zuschreibungen – auch Attributionen genannt – folgen der Logik unseres Selbstbilds. Doch sie verhindern, dass wir die wahren Ursachen eines Konflikts erkennen.

Konflikte im Arbeitsumfeld: ein komplexes Geflecht

Gerade in der Arbeitswelt gibt es viele Auslöser für Konflikte. Organisationen sind komplexe Gebilde mit widersprüchlichen Anforderungen und Interessen. Unterschiedliche Rollen, Erwartungen und Machtverhältnisse treffen aufeinander – und erschweren oft die Zusammenarbeit.

Hinzu kommt: In Unternehmen wird erwartet, dass Menschen trotz dieser Unterschiede kooperieren. Wenn das nicht gelingt, sind Führungskräfte gefragt. Sie müssen Konflikte erkennen, einschätzen und eingreifen. Dabei tragen sie eine zentrale Verantwortung: Sie sind die Wächter*innen der Arbeitsfähigkeit. Ihre Aufgabe ist es sicherzustellen, dass das Team weiterhin funktionieren kann.

Wenn Konflikte eskalieren, müssen Führungskräfte handeln. Manchmal scheint eine schnelle Lösung zu sein, ein Teammitglied zu versetzen oder zu kündigen. In bestimmten Situationen kann das kurzfristig hilfreich sein – langfristig löst es aber selten das eigentliche Problem.

Die Arbeitsfähigkeit in Organisationen ist ein zentrales Anliegen – sie ist die Grundlage für Produktivität, Innovation und Zufriedenheit. Dennoch wird dieser Aspekt im Alltag oft übersehen oder unterschätzt. Statt systemisch auf Arbeitsprozesse, Rollen oder strukturelle Ursachen zu blicken, geraten häufig einzelne Personen und ihre vermeintlichen Charaktereigenschaften in den Fokus. Solche personenzentrierten Erklärungen führen oft zu vorschnellen Bewertungen – und verstellen den Blick auf die eigentlichen Ursachen.

Gerade in komplexen Organisationen entstehen Konflikte selten nur durch individuelle Eigenschaften. Häufig sind es strukturelle Spannungen, unklare Zuständigkeiten oder widersprüchliche Erwartungen, die Unmut hervorrufen. Professionelle Konfliktbearbeitung erkennt diese Zusammenhänge und rückt sie ins Zentrum der Analyse. Dabei geht es nicht darum, Emotionen auszublenden – im Gegenteil: Gefühle sind wichtige Hinweise auf Spannungen oder ungelöste Themen. Sie dürfen nicht ignoriert, aber auch nicht dramatisiert werden.

Konfliktkompetenz bedeutet deshalb, emotionale Reaktionen ernst zu nehmen – ohne sie zur alleinigen Erklärung zu machen. Wer Arbeitsfähigkeit erhalten will, muss sich sowohl mit systemischen Ursachen als auch mit zwischenmenschlicher Dynamik auseinandersetzen. Erst diese doppelte Perspektive ermöglicht nachhaltige Lösungen.

Emotionen ernst nehmen – Strukturen verstehen

Zwischenmenschlich ist nicht gleich persönlich

Organisationen können es sich nicht leisten, Konflikte ausschließlich als "zwischenmenschliche Probleme" abzutun. Wer sagt: „Wir sind doch nicht im Kindergarten – wir müssen einfach zusammenarbeiten, egal ob die Nase passt oder nicht“, hat vielleicht Recht, verkennt aber die Tiefe und Komplexität von Konflikten. Solche Aussagen deuten auf einen impliziten Wunsch hin, Emotionen aus dem Arbeitsumfeld zu verbannen – und blenden dabei aus, dass Menschen nicht nur Funktionen erfüllen, sondern auch Beziehungen gestalten. Genau hier setzt professionelle Konfliktbearbeitung an: Sie anerkennt die Bedeutung von Emotionen, ohne ihnen die Kontrolle zu überlassen. Und sie achtet darauf, dass Arbeitsfähigkeit nicht durch Fehlattributionen und vorschnelle Urteile gefährdet wird. 

Ursachenforschung statt Symptombehandlung

Oft ist das, was wir als Lösung betrachten, nur Symptombekämpfung. Eine fundierte Konfliktdiagnose hingegen kann helfen, nachhaltige Lösungen zu finden. Das bedeutet: nicht sofort handeln – sondern erst einmal verstehen. Media­ti­on und Super­vi­si­on können unterstützen.

Ein oft zitiertes Führungsprinzip lautet : „Denken Sie nicht sofort an die Lösung. Bleiben Sie länger beim Verstehen des Problems.“ Genau das ist der Schlüssel. Wer sich intensiv mit der Ursache eines Konflikts beschäftigt, hat vielleicht nicht sofort das Gefühl, etwas zu tun – erhält aber tiefere Einsichten. Und die ermöglichen es, klüger und wirkungsvoller zu handeln.

Konflikte besser verstehen: Fünf hilfreiche Perspektiven

1. Praxisbeispiel: In einem Projektteam kam es regelmäßig zu Spannungen zwischen zwei Kolleginnen. Die eine fühlte sich ständig unterbrochen, die andere beklagte mangelnde Struktur. Erst in einem moderierten Gespräch wurde deutlich, dass beide völlig unterschiedliche Vorstellungen von Zusammenarbeit hatten. Nicht Böswilligkeit, sondern Missverständnisse waren der Auslöser.

2. Konfliktarten im Überblick:

  • Sachkonflikte: Unterschiedliche Meinungen über Inhalte oder Ziele
  • Rollenkonflikte: Unklare Erwartungen oder Verantwortlichkeiten
  • Beziehungskonflikte: Persönliche Spannungen, Missverständnisse
  • Verteilungskonflikte: Ressourcen, Zeit, Anerkennung

3. Typische Denkfehler:

  • Fundamentaler Attributionsfehler: Wir schreiben eigenes Verhalten äußeren Umständen zu, das der anderen Person jedoch ihrem Charakter.
  • Bestätigungsfehler: Wir suchen Beweise, die unser Bild vom "Schuldigen" stützen.
  • Schwarz-Weiß-Denken: Komplexe Dynamiken werden auf einfache Schuldfragen reduziert.

4. Checkliste für Führungskräfte:

  • Ist der Konflikt bekannt und benannt?
  • Gibt es klare Rollen und Verantwortlichkeiten?
  • Wurden bereits Lösungsversuche unternommen?
  • Gibt es strukturelle Ursachen (z. B. unklare Ziele, Ressourcenmangel)?
  • Wird der Konflikt persönlich genommen oder sachlich betrachtet?

5. Einladung zur Reflexion: Vielleicht hilft es, sich beim nächsten Konflikt nicht sofort zu fragen: „Was stimmt mit der anderen Person nicht?“ – sondern: „Was ist hier eigentlich los – und welchen Teil spiele ich darin?“ Konfliktkompetenz beginnt mit Selbstwahrnehmung.

Reaktionsmöglichkeiten auf unterschiedliche Konfliktarten

Sachkonflikte: Lösbar durch eine sachliche Klärung auf der Faktenebene. Wichtig ist es, Missverständnisse zu bereinigen, gemeinsame Ziele zu identifizieren und ggf. externe Moderation einzusetzen. Auch klare Entscheidungsregeln und strukturierte Kommunikation helfen hier.

Rollenkonflikte: Rollen und Verantwortlichkeiten sollten explizit benannt und ggf. neu abgestimmt werden. Oft hilft ein Rollenklärungsgespräch oder ein externer Impuls, um implizite Erwartungen sichtbar zu machen und Konflikte zu entschärfen.

Beziehungskonflikte: Diese Konflikte sind emotional aufgeladen und brauchen einen geschützten Rahmen. Mediation, Supervision oder ein moderiertes Gespräch helfen, Emotionen zu verarbeiten und die Beziehungsebene zu klären.

Verteilungskonflikte: Transparenz ist entscheidend. Ob es um Ressourcen, Aufgaben oder Anerkennung geht – Entscheidungen sollten nachvollziehbar und fair kommuniziert werden. Beteiligung an Entscheidungsprozessen stärkt die Akzeptanz.

Konfliktbearbeitung braucht Differenzierung: Wer die Art des Konflikts erkennt, kann gezielter reagieren – und nachhaltiger lösen.

Wie kann auf die verschiedene Konfliktarten reagiert werden?

KonfliktartTypische UrsacheEmpfohlene Reaktion
SachkonfliktUnterschiedliche Meinungen über Inhalte/ZieleFakten klären, gemeinsame Ziele definieren, ggf. externe Moderation einsetzen
RollenkonfliktUnklare Rollen oder ErwartungenRollenklärung, Aufgabenverteilung neu definieren, transparente Kommunikation
BeziehungskonfliktEmotionale Spannungen oder persönliche VorbehalteGeschützter Rahmen, Mediation oder Supervision, beziehungsorientierte Kommunikation
VerteilungskonfliktStreit um Ressourcen, Anerkennung, Zeit etc.Transparente Kriterien, Beteiligung an Entscheidungen, faire und nachvollziehbare Prozesse

In der Spannung liegt die Haltung!

Ihre Valérie Turbot, die Coachin an Ihrer Seite.

Valérie Turbot - Organisationsberaterin und Coachin
Valérie Turbot
Beraterin – Coachin – Supervisorin
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